„Manche fragen sich, ob Neugier überhaupt ein Gefühl sei. Andere sind unsicher, ob sie Neugier gut oder schlecht finden. ‚Allgemeinsprachlich‘, befand der Brockhaus 1991, bezeichne Neugier ein ‚unangemessenes Interesse an den Angelegenheiten anderer Menschen‘. Dem Neugierigen, hieß es 1971, gehe es in erster Linie ‚um das Erleben kleinerer oder größerer Sanktionen‘, vorzugsweise aus ‚der Privatsphäre der näheren mitmenschlichen Umwelt (ihrem >Klatsch< oder Intimbereich)‘. Schon das frühe Christentum habe curiositas als Laster angesehen und verurteilt. Nur langsam sind solche abwertenden Äußerungen aus den Lexika verschwunden. Inzwischen dominiert eine positiv-bejahende Sicht. Wer neugierig ist, zeigt jetzt ein Bedürfnis nach ‚Innovation‘ und einen Hang zum Experimentieren. Pädagogen halten die Förderung kindlicher Neugier für überaus wichtig, denn sie motiviere Lernfähigkeit, Wissbegier und Kreativität sowie ‚Offenheit und Kontaktbereitschaft im Sozialisationsprozeß‘.“ (Ute Frevert, Mächtige Gefühle, Frankfurt a.M. 2020, S. 251). Historisch zeigt sich dabei, dass Wissbegier und Neugier geschlechtsspezifische Zuschreibungen sind: „Jungen durften wissbegierig sein, Mädchen dagegen galten als oberflächlich-neugierig [...].“ (ebd., S. 257).
In dem Vortrag soll es um Neugier als schlechtes Gefühl gehen. Grundlegende Fragen hierbei sind: Ist Neugier überhaupt ein Gefühl? Seit wann und in welchen historischen Zusammenhängen wird Neugier als solches betrachtet? Wer darf/soll es fühlen, und wer nicht? Aus welchen Gründen? Wann und warum ändert sich das?
Prof. Dr. Dr. h.c. Ute Frevert lehrte Neuere Geschichte in Berlin, Konstanz, Bielefeld und Yale. Seit 2008 leitet die Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung den Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“. Ihre Publikationen zur Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte der Moderne, zur Emotions- und Geschlechtergeschichte wurden in zahlreichen Sprachen veröffentlicht. Zuletzt erschien „Gefühle in der Geschichte“ (2021).