Über ein letztes Gefühl im Angesicht von Klimakatastrophe und Pandemie
Format: 
Vortrag
Sprache: 
Deutsch
Präsenzveranstaltung
29. Juni 2022 - 18:15 bis 19:45

1.G191

Der Philosoph und Anti-Atomwaffenaktivist Günther Anders empfahl seinen Zeitgenoss:innen in den 1950er Jahren, sich in „Überdehnungen [ihrer] gewohnten Phantasie- und Gefühlsleistungen“ zu üben und der Apokalypse (in Form einer nuklearen Auslöschung) ins Auge zu sehen. Diese imaginativen und affektiven Stretchübungen waren jedoch nicht dazu gedacht, in der Apokalypse zu verweilen, sondern ihr zu trotzen. In unserer Gegenwart einer sich verschlimmernden Klimakrise und einer nicht enden wollenden Pandemie zeigt sich ein eigentümlicher Hang zu einem tief pessimistischen, kollapsologischen Gefühl, dem dieser Vortrag nachgeht. Klimaaktivist:innen, die sich als „letzte Generation“ beschreiben, setzen die eigene Verzweiflung und körperliche Verwundbarkeit in öffentlichkeitswirksamen Aktionen ein. Bei den Gegner:innen der Coronamaßnahmen wiederum leitet das „ungute Gefühl“ die Proteste an, dass „etwas nicht stimmt“, und hangelt sich über Hohn und Verachtung bis zur Phantasie von Umsturz und der Abrechnung vor dem letztem Gericht. Der Vortrag fragt, wie diese bad feelings in ihrer kollektivierenden und politisierenden Kraft unterschiedlich funktionieren. Wer ist das wir? Welche Körper sind wodurch verwundbar und welche Aneignungen feministischer Bezüge kommen dabei zum Einsatz? Welche Zeitlichkeit einer „letzten Chance“ wird skizziert? Und schließlich: wie lässt sich ein kritisches Potential von apokalyptischen Gefühlslagen angesichts bedrohlicher Zukünfte (und Gegenwarten) im Sinne von Günther Anders denken?

Christine Hentschel

... ist Professorin für Kriminologie, insbesondere Sicherheit und Resilienz, am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie forscht zu autoritären und kollapsologischen Logiken der Gegenwart, dem Zusammenwirken von Klimakatastrophe und Unsicherheit, Affekt und Öffentlichkeit sowie zu Protestpraktiken im urbanen Raum. Im Sommersemester 2022 ist sie Fellow am Käte Hamburger Centre for Apocalyptic and Post-Apocalyptic Studies (CAPAS) der Universität Heidelberg.

Konzeption: 
Robert Gugutzer, Bettina Kleiner, Melanie Köhlmoos
Koordination: 
Amanda Glanert, Mandy Gratz, Marianne Schmidbaur