Im Wintersemester 2015/16 hat Chandra Talpade Mohanty im Rahmen der Angela Davis Gastprofessur für internationale Gender- und Diversity Studies des Cornelia Goethe Centrums an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gelehrt. Am 12.12.2015 hielt sie ihre öffentliche Antrittsvorlesung mit dem Titel „Wars, Walls, Borders: Anatomies of Violence and Postcolonial Feminist Critique“ auf dem Campus Westend. Einen weiteren öffentlichen Vortrag unter dem Titel „Neoliberal Projects, Insurgent Knowledges, and Pedagogies of Dissent“ gab es am 16.12.2015, ebenfalls auf dem Campus Westend. Weiterhin bot Chandra Talpade Mohanty während ihres Aufenthalts einen Workshop für Student*innen mit dem Titel „Colonial Legacies, Neoliberal Hegemonies, and Insurgent Feminist Praxis“ an und besuchte Initiativen, die sich kritisch mit Repression und kolonialer Vergangenheit auseinandersetzen. Zu den verschiedenen Veranstaltungen finden Sie untenstehend sowohl Berichte als auch Aufzeichnungen.
Chandra Talpade Mohanty gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen postkolonialen Wissenschaft*lerinnen und Aktivistinnen.
Sie versteht sich als antirassistische Feministin und sieht sich in der Tradition sozialistischer Feministinnen und feministischer Theorien des ‚Globalen Südens‘ verwurzelt. Mohantys Forschungsinteresse gilt transnationaler feministischer Theorie, postkolonialen Studien, Analysen des Imperialismus und des Rassismus, antirassistischer Pädagogik und antikapitalistischer Kritik.
In ihren Texten analysiert sie die verschränkten Machtrelationen von Kolonialismus, Rasse, Klasse und Geschlecht. ‚Dekolonisierung‘, das heißt die kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe auf allen Ebenen ist für sie eine vorrangige, wissenschaftliche und zugleich politische Frage, die zeigt, wie der Reichtum Weniger mit der Armut Vieler zusammenhängt.
Mohanty erzählt Gegengeschichten, sie rekonstruiert Geschichte/n ‚von unten‘, um andere Wirklichkeiten und Alternativen sichtbar zu machen und die vermeintliche Natürlichkeit und Normalität bestehender Machtverhältnisse zu erschüttern.
1955 in Bombay geboren, wuchs Mohanty in Indien auf. Nach einem Aufenthalt in Nigeria, wo sie an einer weiterführenden Schule Englisch unterrichtete, übersiedelte sie in die USA. Seit 2005 ist sie amerikanische Staatsbürgerin.
Ihren Bachelor in Englisch legte Mohanty 1974 an der Universität Delhi ab. Ein Master in Anglistik (1976) an der Universität Delhi und Englisch/Pädagogik an der University of Illinois (1980) folgten. 1987 promovierte Mohanty an der University of Illinois in Urbana-Champaign. Von den zahlreichen Ehrungen sind die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Lund und das College of Wooster (Ohio) hervorzuheben.
Chandra Mohanty war ab 1992 Professorin für Women’s Studies am Hamilton College in Clinton, New York, und ist seit 2004 Professorin für Frauen- und Geschlechterstudien, Soziologie und kulturelle Grundlagen der Pädagogik an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Syracuse University, New York.
International berühmt wurde Mohanty mit ihrem Aufsatz „Under Western Eyes: Feminist Scholarship and Colonial Discourses“ (1984). Der Artikel ist in zahlreiche Sprachen übersetzt worden und gehört zu den Grundlagentexten der Frauen- & Geschlechterforschung weltweit.
Mohanty kritisierte in diesem Beitrag exemplarisch am Beispiel einiger Texte der ZED Press-Reihe „Frauen in der Dritten Welt“ ein Verständnis von ‚Dritte-Welt-Frauen‘ als einheitliche und machtlose, durch ihren Opfer-Status gekennzeichnete Gruppe. Sie zeigt, dass diese Annahme auf einer kolonialen Perspektive beruht.
Rechtliche, ökonomische, religiöse und familiäre Strukturen in ‚Dritte-Welt-Ländern‘ werden als ‚unterentwickelt‘ konstruiert, mit der Konsequenz, dass Subjektivität und Handlungsfähigkeit privilegierten westlichen Feminismen vorbehalten bleiben. Kolonialismus, Kapitalismus, Rassismus und Sexismus/Heteronormativität sind, so zeigt Mohanty, miteinander verschränkte Strukturen und Ideologien und müssen in ihrem Zusammenwirken analysiert werden.
Heute misst sie globalisierungskritischen Analysen und transnationaler feministischer Solidarität eine viel größere Bedeutung bei als noch in den 1980er Jahren. In ihrem 2003 erschienenen Buch „Feminism Without Borders: Decolonizing Theory, Practicing Solidarity“ skizziert Mohanty ein visionäres Gesellschaftsmodell.
Eine Gesellschaft, in der jeder Mensch ein selbstbestimmtes und kreatives Leben führen kann, frei von Misogynie, Heteronormativität, Homophobie, Rassimus, dem Zwang zur Lohnarbeit in unliebsamen und ausbeutenden Arbeitsverhältnissen, ökonomischen Unsicherheiten und der Ausbeutung ökologischer Ressourcen.
Kritiken an ihrem Aufsatz aus dem Jahr 1984 aufgreifend plädiert sie in diesem Buch sowie in dem im gleichen Jahr veröffentlichten Aufsatz „‚Under Western Eyes‘ revisited: Feminist Solidarity through Anticapitalist Struggles“ für solidarische, feministische Anti-Globalisierungsbewegungen von Drittwelt bzw. 2/3 Welt-Ländern und westlichen bzw. 1/3 Welt-Ländern.
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Factsheet zur Gastprofessur 2015 | 929.26 KB |