Präsente Prähistorie. Die Erfindung der Steinzeit und ihre Folgen
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Die Steinzeit ist gegenwärtig: Die älteste Epoche der Menschheitsgeschichte wird z.B. in unseren Vorstellungen von Essgewohnheiten und körperlicher Fitness, Geschlechterrollen und -verhältnissen, sozialen und politischen Institutionen, kulturellen Entwicklungslinien und ästhetischen Präferenzen abgerufen, um moderne Menschen und ihre diversen Lebensweisen evolutionär zu begründen. Die Steinzeit ist zugleich ein ergiebiges Forschungsfeld, über dessen Erschließung sich die Archäologie als Disziplin wissenschaftshistorisch betrachtet erst konstituiert. Sie ist, wie zahlreiche fiktionale Inszenierungen, wissenschaftliche Rekonstruktionen und die Popularisierung prähistorischen Wissens zeigen, für unsere gegenwärtige Kultur von einer solch bedeutsamen Faszination, dass sie nicht nur in Vielem die Antike als Leitepoche für eine europäischer Selbsterklärung verdrängt hat, sondern der Bezugspunkt unseres Selbstverständnisses als biologische Spezies und als Kulturwesen geworden ist.Dabei ist das Konzept der Steinzeit kaum 200 Jahre alt und deutlich Prähistorie: Keinerlei schriftliche Quellen, nur materielle Artefakte liegen uns aus ihr vor; sie ist vorgeschichtlich, weil keine Geschichten aus ihr überliefert sind. Diese menschheitsgeschichtliche Epoche ist zugleich durch die aus ihr verbliebenen Werkzeuge, Geräte und Knochen belegt und wissenschaftlich und kulturell ‚gemacht‘. Auf der einen Seite bedarf ihre Erschließung interpretativer und poietischer Verfahren, die die Nähe der Archäologie zur Hermeneutik hervorkehren und die Ausweitung der Hermeneutik radikalisieren. Auf der anderen Seite kann sich, wer die Steinzeit als Argument nutzen oder Steinzeit als Erfahrungswelt (re-)konstruieren will, durch die Kooperation von Archäologie und Naturwissenschaften auf die Position ‚gesicherten Wissens‘ zurückziehen, die geisteswissenschaftlichen Disziplinen und Wissensbeständen meist abgesprochen wird. In meinem Post-Doc-Projekt befrage ich diese Präsenz der Steinzeit auf ihre Voraussetzungen und Merkmale hin und möchte eine Wissens-, Fiktionen-, und Kulturgeschichte der Steinzeit liefern, die berücksichtigt, welche Folgen die Erfindung der Steinzeit hat: bspw. in Geschlechterdiskursen, hinsichtlich einer (post-)kolonialen Globalisierung der Steinzeit, die Wildbeuterkulturen der Gegenwart zu geschichtslosen Steinzeitler/innen hat werden lassen, oder für ein evolutionäres Verständnis unseres Geschmacks.