„Freedom is a Constant Struggle“ – Angela Davis als Gastprofessorin in Frankfurt

Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin und kritische Sozialwissenschaftlerin Angela Davis gab im Dezember 2013 den Auftakt für die am Cornelia Goethe Centrum neu eingerichtete und nach ihr benannte Gastprofessur für internationale Gender und Diversity Studies.

Davis, em. Professorin für Feminist und African American Studies an der University of California, Santa Cruz, gilt als richtungsweisend für aktuelle, kritische Diskurse innerhalb der Gender und Diversity Studies. Ihre Perspektive auf sich überlagernde Formen der Ungleichheit auf Grund von Geschlecht, Ethnizität und Klasse ist als Triple Oppression in die sozialwissenschaftliche Theoriebildung eingegangen. Auf Empfehlung ihres Doktorvaters, Herbert Marcuse, kommt Davis 1965 als junge Studentin erstmals nach Frankfurt, um bei Adorno, Horkheimer und Habermas „Kritische Theorie“ zu studieren. Hier erhielt sie entscheidende intellektuelle Impulse, die sie in ihrer weiteren wissenschaftlichen und politischen Arbeit nachhaltig geprägt hätten, so Davis heute.
Zum „Schlüsselereignis“ entwickelt sich in den 1970er Jahren Angela Davis‘ Engagement für die „Soledad Brüder“, eine Gruppe von Gefangenen. Bei einem missglückten Befreiungsversuch kommen 1970 auch Waffen zum Einsatz, die auf Davis registriert waren. Sie wird zur Fahndung ausgeschrieben und ist vorübergehend eine der zehn meist gesuchten Personen („10 Most Wanted“) des FBI. In Folge wird sie selbst zur Inhaftierten und als politische Gefangene „Symbolfigur“ einer internationalen Bewegung. Millionen Menschen fordern damals ihre Freilassung und die aller politischen Gefangenen. 1972 wird sie schließlich freigesprochen. Es sind auch ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse, die Angela Davis fortan zu einer Kämpferin für die Rechte politisch Gefangener und zu einer scharfen Kritikerin des gefängnisindustriellen Komplexes („prison-industrial complex“) werden ließen.
Auch nach über 40 Jahren wird Davis bei ihrer Rückkehr in Frankfurt mit „standing ovations“ empfangen. Vortrags- und Kinosäle sind bereits einige Wochen im Voraus ausgebucht. Über 1.500 Besucher_innen nutzen während ihres 10-tägigen Aufenthaltes die Chance, Angela Davis einmal persönlich zu begegnen. Angela Davis hielt zwei öffentliche Vorträge, diskutierte mit Student_innen in einem dreitägigen Blockseminar und beantwortete immer wieder auch Fragen zu ihrer „bewegten“ Vergangenheit. Fragen, mit denen sich auch der Dokumentarfilm „Free Angela and All Political Prisoners“ (2012) beschäftigte, der in Frankfurt Deutschlandpremiere feierte. Abseits des Veranstaltungsprogramms trifft sie sich mit Aktivist_innen, u.a. mit Gruppen, die sich für die Rechte politisch Gefangener einsetzen, Kritiker_innen des „prison-industrial complex“ und Vertreter_innen antirassistischer Initiativen. Auch in ihren Vorträgen und im Rahmen der Diskussionen nahm sie sich Zeit auf das Schicksal anderer aufmerksam zu machen. In ihren Gesprächen mit Aktivist_innen vor Ort habe es sie einerseits überrascht, gleichzeitig aber auch betroffen gemacht, wie sehr sich die Probleme mit rassistisch-motivierter Gewalt und Diskriminierung, z.B. in Bezug auf „racial profiling“, aber auch im Umgang mit Migrant_innen und Asylsuchenden, im deutschen und US-amerikanischen Kontext ähneln würden.

Ihre Antrittsvorlesung mit dem Titel „Feminism & Abolition: Theories & Practices for the 21st Century“ begann Davis mit einem überraschenden Eingeständnis. Noch Anfang der 80er Jahre habe sie, wenn man sie als „Feministin“ bezeichnete, geantwortet: „I’m not a feminist“, gefolgt von der Klarstellung: „I am a black woman revolutionary.“ Zu diesem Zeitpunkt sei ihr beides als miteinander unvereinbar erschienen. Erst die Interventionen um Inklusion und Repräsentation der 1970er Jahre hätten den „weißen Mittelklasse-Feminismus“ und seine universalen Zuschreibungen „aufgebrochen“ und um differente Erfahrungen erweitert. Davis spricht an diesem Abend ausführlich über diese Transformationen und zieht Parallelen zu ihren Arbeiten zum gefängnisindustriellen Komplex. Aus der Arbeit eines Projekts in ihrer Heimatstadt Oakland zu struktureller Gewalt und Diskriminierung von „transgender women of color“ innerhalb des Strafvollzugssystems könne viel gelernt werden, nicht nur über die Reichweite des „prison-industrial complex“, sondern auch über die (Aus-)Wirkungen mehrfacher Formen von Diskriminierung. Die interessantesten Entwicklungen in der feministischen Theorie der letzten Jahrzehnte, so Davis weiter, seien dann auch methodologischer Art gewesen: „What feminism has offered us is an ability to bring issues and objects and processes together that previously were considered to be entirely separate and […] to desegregate what was considered complete and whole.“ Man dürfe sich niemals zu sehr an eine Kategorie, explizit auch die des „Geschlechts“, klammern, müsse darüber hinaus, vor allem auf kategoriale Transformations-, Erweiterungs- und Auflösungsprozesse schauen. Inspiriert von den Arbeiten Gloria Anzaldúas, ruft Davis abschließend dazu auf, diese Grenzen und Grenzverläufe, in der und für die feministische Theorie produktiv nutzbar zu machen.
Im Rahmen des 13. Cornelia Goethe Salons hielt Angela Davis den Festvortrag und nahm sich zu Beginn einige Minuten Zeit, um ihren Freund und Weggefährten Nelson Mandela zu würdigen, der wenige Tage zuvor verstorben war. Mandela sei ein außergewöhnlicher Kämpfer für die Freiheit und eines ihrer wichtigsten Vorbilder gewesen. Der Titel ihres Vortrages an diesem Abend, „Freedom is a Constant Struggle“, nimmt Bezug auf ein altes Lied der Freiheitsbewegung: „They say that freedom is a constant struggle (…). We’ve struggled so long, we must be free (…)” Zeilen, die gleichzeitig kritisieren und inspirieren sollen. Sie stellen die Frage: „Wir sollten frei sein, aber sind wir es wirklich?“ Davis zeigt in ihrem Vortrag Kontinuitäten zwischen den Freiheits- und Befreiungskämpfen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts auf. Die Beschränkung von „Freiheit“ auf einen kategorialen Rahmen der „Bürgerrechte“, durch den die „Freiheitsbewegung“ zu einer „Bürgerrechtsbewegung“ stilisiert und ihre Ziele als erreicht erklärt worden seien, sei zu kritisieren. Tatsächlich seien nach wie vor viele Menschen faktisch von der Inanspruchnahme ihrer Rechte ausgeschlossen, befänden sich in einem Zustand des „civil death“. Nicht nur für das Verständnis von Verbindungen und Kontinuitäten auf horizontaler Ebene, zwischen den unterschiedlichen Befreiungskämpfen, könnte die feministische Theorie in der Form einer „intersectionality of struggles“ jedoch entscheidende Aufschlüsse liefern. Auf dem „langen Weg zur Freiheit“, so Angela Davis abschließend in den Worten Nelson Mandelas, sei das Ende, auch im 21. Jhdt., noch nicht erreicht, denn „Freiheit [sei] ein kontinuierlicher Kampf“.
